Gastbeitrag von Petra-Alexandra Buhl.
„Es reicht nicht, dass man zur Sache spricht. Man muss zu den Menschen sprechen“, schrieb der polnische Schriftsteller Stanislaw Jerzey Lec. Mit diesem Satz sind viele Studien zum Change Management zusammengefasst: Veränderungsprozesse scheitern vorwiegend an schlechter Kommunikation und an der Glaubwürdigkeit der Multiplikatoren. Unternehmensführer neigen dazu, den Faktor Mensch chronisch zu unterschätzen. Dabei sollen Mitarbeiter die Veränderungsvorhaben nicht nur tolerieren, sondern sie akzeptieren und sich im besten Fall damit identifizieren.
Die Realität sieht aber anders aus: Vorstandsvorsitzende und Führungskräfte schaffen es nicht mehr, ihre Leute mit ins Boot zu holen. Multiplikatoren genießen zu wenig Vertrauen. Motivation oder gar Vorfreude auf eine Veränderung zu wecken, misslingt ihnen.
Mitarbeiter sind die „Change-Phrasen“ leid
Das hat gute Gründe. Fast reflexartig schalten Mitarbeiter auf Resignation oder Widerstand um, wenn sie die immer gleichen Change-Phrasen hören. Sie haben inzwischen viel Erfahrung mit gescheiterten Veränderungen. Deshalb ist in vielen Unternehmen die Motivation der Mitarbeiter für Change Projekte gleich null: Ängste, Sorgen und Bedenken überwiegen, Resignation und chronische Veränderungsmüdigkeit sind üblich. Überall sitzen zudem die Verlierer der Veränderungen von gestern, die wenig geneigt sind, sich noch überdurchschnittlich einzubringen. 60% der deutschen Angestellten haben innerlich gekündigt. Zynismus und Ironie haben vielerorts authentische Kommunikation ersetzt.
Sie scheitern am Umgang mit Emotionen
Dies ist die Quittung für die schlechte Information, Integration und Motivation in Veränderungsprozessen der letzten Jahre. Würden die Grundsätze des Change Managements beherzigt, sähe es sehr viel besser aus: Die Prozesse und ihr Ablauf wären transparent und für die Mitarbeiter verstehbar. Selbstverständnis, Handlungsmuster und Vorhaben wären klar. Es gäbe eine zeitgemäße, innovative Kultur der Veränderung, kein ängstliches Beharren auf dem gewohnten Status quo oder eine aktionistische Fehler-Such-Kultur.
In der Praxis erlebe ich aber häufig, dass nicht einmal die Basics von Change Management eingehalten werden. Hier ein paar Beispiele dazu:
- Multiplikatoren kommen am Morgen einer lange geplanten Kick off-Veranstaltung wie die Jungfrau zum Kinde zu ihrer Funktion. Bereits gebriefte Multiplikatoren haben sich kurzfristig krank gemeldet, nun wird diese wichtige Schlüsselfunktion irgendjemandem übergestülpt – „per ordre de mufti“ durch den Vorstandsvorsitzenden.
- Etwas geschmeichelt, aber unsicher gibt dieser Jemand sein frisch erworbenes Halbwissen zwischen Tür und Angel in Telegrammform weiter – viel mehr hat ihm der Vorstand ja auch nicht „kommuniziert“: „Wir machen etwas – aber was eigentlich?“
- Multiplikatoren geben das geplante Vorhaben in Einweg-Kommunikation als „Ansage“ weiter und wundern sich über die skeptischen Blicke und verschränkten Arme ihrer Mitarbeiter in der Team-Konferenz. Da kommt dann so etwas an wie „Hausaufgaben machen, zukunftsfähig werden“ und ähnliches Change Bla-Bla, das die Leute zigmal gehört haben.
- Die Führungskräfte der mittleren Ebene müssen Veränderungen implementieren, ohne auch nur die Grundzüge von Change Management zu kennen, und reagieren entsprechend dilettantisch auf die Emotionen ihrer Mitarbeiter.
Persönlichkeit und Bildung – das bekommt man nicht bei RTL II
Der Nutzen der Veränderung bleibt diffus, für die Mitarbeiter unerklärlich. Die Mitarbeiter müssen wissen, was von ihnen verlangt wird und warum. Die Folge ist mangelnde Integration des nötigen Wissens. Die Veränderung wird nicht als wertvoll und wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit und die eigene Arbeit erlebbar gemacht. Schließen wir das Schreckens-Kabinett: Wie es nicht geht, wissen wir inzwischen.
Gewinnbringender ist, den Mitarbeitern den Raum zu geben, eigene Lösungen zu erarbeiten. Das heißt zunächst, wertzuschätzen, was gut funktioniert und genau das auszubauen. Anschließend müssen kurz-, mittel- und langfristige Ziele definiert und verhandelt werden. Die Multiplikatoren brauchen dafür den Gestaltungsspielraum, das Vertrauen der Unternehmensführung, aber auch der Mitarbeiter. Sie brauchen vor allem Legitimation und Unterstützung, und dürfen im Veränderungsprozess nicht verbrannt werden.
Fünf Tipps gegen die größten Multiplikatoren-Pannen
1) Multiplikatoren brauchen Change Know how, aber kein 08/15 train-the-trainer-Wissen, sondern handfestes Wissen über den Umgang mit Menschen in Veränderungen. Sie brauchen Methoden und Tools, um hoch emotionale Gruppenprozesse professionell begleiten und moderieren zu können.
2) Es braucht Persönlichkeiten als Multiplikatoren, die eine chaotische Umbruchphase aushalten und steuern können – also krisenerfahrene Führungskräfte und keine Leichtmatrosen. Dazu sind Anforderungsprofile und eine sorgsame Auswahl der Akteure nötig. Führung braucht Bildung, sagt der Management-Vordenker Reinhard K. Sprenger. Die bekommt man allerdings nicht bei RTL II.
3) Multiplikatoren müssen Übersetzer sein und Komplexität immer wieder reduzieren. Sie müssen sich selbst und auch die Misserfolge reflektieren. In der ersten Woche sollte es täglich kurze Besprechungen rund um den Veränderungsprozess geben, um den Lernprozess zu unterstützen und den Fortschritt voranzutreiben. Wenn das gelingt, können sich die Gruppen alle drei Wochen zusammensetzen und an einer Reorganisationsaufgabe arbeiten. Das wäre der Beginn einer neuen Innovationskultur.
4) Die Multiplikatoren brauchen entsprechende Ressourcen sowie inhaltliche, methodische und strukturelle Hilfestellung. Eine Übersicht der geplanten Maßnahmen, eine detaillierte Planung sowie schriftlich formulierte Ziele und Meilensteine sollten selbstverständlich sein.
5) Der Know how-Transfer an die Mitarbeiter muss in kleinen Zeiteinheiten und unter meist schwierigen Bedingungen geleistet werden. Dazu müssen die Multiplikatoren befähigt und außerdem mit einem positiven Image ausgestattet werden: Weg vom „Wachhund“ hin zum Mentor. Dazu brauchen die Multiplikatoren ihrerseits Rollenklarheit und die Rückendeckung von ihren Vorgesetzten. Vorhandene Strukturen und Instrumente müssen aktiv eingebunden werden, z. Bsp. Intranet, Weiterbildung, Methoden- und Wissenspools, formelle/informelle Netzwerke.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wie gelingt es, Multiplikatoren in Veränderungsprozessen besser zu schützen und ihre Rolle zu festigen? Wie verhindert man, dass Multiplikatoren ausbrennen? Schreiben Sie mir. Ich freue mich auf den Austausch. pab@buhl-coaching.de.
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